Bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg geht es um ein Comeback: Gelingt es, die Option grenzübergreifender Solidarität gegen den inszenierten Showdown zwischen autoritärem Neoliberalismus und nationalistischem Rollback wieder auf die Tagesordnung der Weltöffentlichkeit zu setzen? Viel zu lange schon dominieren diese falschen Gegensätze die öffentliche Wahrnehmung. Im Ziel das zu ändern liegt das Gemeinsame der verschiedenen Gegen-Mobilisierungen – und ihre Bedeutung. Es geht damit während der Proteste rund um den Gipfel der 20 stärksten Industrienationen um nicht weniger, als die Frage, wie handlungsfähig linke Proteste unter den Bedingungen des Rechtsrucks im Zentrum des Krisenregimes sein können. Mit anderen Worten: Bei den G20-Protesten geht es für uns um Einiges.
Die etablierte Politik, die Mainstream-Medien und die Hamburger Polizei sehen das ähnlich. Ihr Ziel ist klar: Das repräsentative Event soll nicht gestört werden, etwaige Kritik an der Lage der Welt, deren weitere Verwaltung auf dem Gipfel verhandelt wird, soll brav und folgenlos bleiben. Nichts Anderes ist gemeint, wenn die regierende SPD offiziell verlauten lässt, ihr sei es wichtig, dass die „Bilder von G-20-Demonstrationen in unserer Stadt einen friedlichen Protest zeigen“. Daher arbeiten sie mit Hochdruck an einem medialen Repressionsszenario, kündigen schon jetzt massive Grenzkontrollen gegen internationale Aktivist*Innen und ein hartes Vorgehen der Polizei gegen Aktionen des Zivilen Ungehorsams an. „Der G-20-Gipfel wird auch ein Schaufenster moderner Polizeiarbeit sein“, droht der Bürgermeister. Mehr als 15.000 Beamten sollen eingesetzt werden. Rechte Polizeigewerkschafter reden angesichts möglicher Blockaden im Hafen sogar von Terrorismus und der Innensenator meint, Blockaden der Gipfelkolonnen seien wegen des „Sicherheits“-personals der anreisenden Staatschefs lebensgefährlich – woraus für diese bewaffneten Gewalttäter aber natürlich nichts folgt. Im Gegenteil: Die Blockaden werden zum Problem erklärt. Der linken Großdemonstration legen die Versammlungsbehörden, wo es geht, Steine in den Weg und sie versuchen angemeldete Camps für Demonstrant*Innen zu verhindern. Bereits seit Wochen werden Obdachlose vom Ordnungsamt aus der Hamburger Innenstadt verjagt. Auch die Bundespolitik macht mit: Termingerecht hat sie die Strafen für Widerstand gegen Polizeigewalt verschärft. Damit hat sie ausgerechnet die Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols zur besonders schützenswerten Gruppe erklärt. Grundrechte für Demonstranten und Minderheiten? Egal. Nichts soll die Verwaltungstristesse des globalen Kapitalismus stören. Über all dem schwebt eine angestrengte Gewaltdebatte: In Bezug auf die geplanten Proteste wird fast nur noch die Frage verhandelt, ob und wie sich die Demonstranten von militanten Aktionen distanzieren. Die alltägliche Gewalttätigkeit des Kapitalismus und seiner Handlanger*Innen wird hingegen dröhnend beschwiegen. Ihnen will die Stadt Hamburg eine gute Gastgeberin sein.
Damit nicht genug: Neben der Peitsche der polizeilichen Repression und der Law-and-Order-Rhetorik der Konservativen kommt auch das Zuckerbrot vermeintlicher Integration zum Einsatz. Einige NGOs haben den Wink mit dem Knüppel beherzigt und rufen in vorauseilendem Gehorsam dazu, so viele Tage vor dem Gipfel zu demonstrieren, dass ihre „Protestwelle“ garantiert niemanden stören kann. Und die mitregierenden Grünen organisieren zusammen mit zahlreichen Honoratioren der Stadt während des Gipfels eine eigene Kundgebung, die sich ausdrücklich nicht gegen eben diesen richten soll und stattdessen zum „Haltung zeigen“ für „unsere Lebensart und Demokratie“ aufruft. Billiger kann man sein grundsätzliches Einverständnis mit dem herrschenden Unrecht nicht zu Papier bringen – und es auch noch zum Protest verklären. Harmlos ist diese Regierungsdemo trotzdem nicht. Denn hier geht es faktisch darum, jedem Protest, der sich inhaltlich wie praktisch nicht an die Straßenverkehrsordnung der Mitmacher hält, die Legitimität abzusprechen. Der Trick ist alt. Es sollen mal wieder Kopfnoten für den Protest verteilt werden: Die guten Protestler kommen am Katzentisch der Mächtigen kurz ins Fernsehen, die bösen Anderen in den toten Winkel des demokratischen Rechtsstaates. So wird die Bewegung insgesamt geschwächt, weil nicht mehr verhandelt wird, was sich alles ändern muss, sondern ob es überhaupt erlaubt es, sich für Veränderung stark zu machen. Die offiziellen Reaktionen auf die angekündigten Proteste gegen den Gipfel reihen sich damit passgenau in die autoritäre Wende des Neoliberalismus ein. Der Polizeieinsatz Anfang Juli in Hamburg könnte ihr vorläufiger Gipfel werden.
Wir lassen uns davon nicht einschüchtern. Wir haben uns entschieden. Wir werden Verantwortliche und Profiteure dieses Systems markieren. Wir finden uns weder mit der Festung noch dem Krisenlabor Europa ab. Wir gehen der Inszenierung Deutschlands als „Hort der Vernunft“ nicht auf den Leim. Wir werden die gewünschte Friedhofsruhe durchbrechen. Wir wissen, mit welchem System wir es zu tun haben – und wie viel Gewalt der kapitalistische Normallvollzug mit sich bringt. Wir kennen diesen Rechtsstaat, dessen Recht immer nur genau so lange gilt, bis seine Macht in Frage gestellt wird. Wir verteilen daher keine Kopfnote für soziale Bewegungen. Denn der Skandal ist der Kapitalismus, nicht der Widerstand dagegen – und gesellschaftliche Konflikte laufen glücklicherweise nicht nach dem Drehbuch deutscher Beamter ab. Es ist nicht zuletzt die hiesige Export-Politik, die täglich Leben hier und erst recht anderswo zerstört, es ist daher selbstverständlich, dass dieser Konflikt auch hier ausgetragen wird. Die obrigkeitsstaatliche Vorstellung vom Umgang mit sozialen Konflikten versucht hingegen eine Selbstverständlichkeit vergessen zu machen: Wer sich die Vollstrecker einer Wirtschaftsordnung einlädt, die zunehmendes Elend produziert, der lädt sich auch den Widerstand dagegen ein. Dieser Widerstand wird vielfältig sein – und das ist gut so. Denn es ist angesichts der täglichen Zerstörungen, die diese Ordnung anrichtet, schlicht unverhältnismäßig ausgerechnet dem Protest dagegen Vorschriften machen zu wollen. Schon ein Blick in die Geschichte zeigt: Solange Macht und Reichtum ungleich verteilt sind, solange es ein Witz ist, von „gleichen Rechten“ und „Beteiligungsmöglichkeiten“ auch nur zu sprechen, so lange braucht es auch Zivilen Ungehorsam und Militanz. Hoffnung ist tatsächlich immer aus Rebellion entstanden – aber für die gab es vorher nie eine Genehmigung von Oben.
Wir stellen uns daher gegen jede Spaltung und Kriminalisierung der Proteste. Wir erklären uns mit allen solidarisch, die das Ziel teilen, aus diesem Event der Macht ein Festival der grenzübergreifenden Solidarität zu machen. Wir kommen auf die Straßen Hamburgs um die kapitalistische Normalität und ihren Gipfel zu stören. Wir stehen für verschiedene Traditionen, Perspektiven und Ansätze, doch wir werden zusammen dafür arbeiten, dass sich die unterschiedlichen Aktionsformen nicht behindern, sondern vielmehr produktiv ergänzen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass alle Menschen nach Hamburg kommen und dort auch unterkommen können. Und wir laden alle ein, schon jetzt die Herausforderung anzunehmen und mit uns gemeinsam, kreativ und vielfältig den Aufstand gegen die Eliten und ihren Ausnahmezustand zu wagen.
Wir werden uns wehren. Ob das richtig ist, ist für uns keine Frage. Ob es möglich ist, wird nur praktisch zu ermitteln sein. Wir sind dazu bereit. We’ll come united.
Unterzeichner: …ums Ganze!, Interventionistische Linke, Projekt Revolutionäre Perspektive (PRP) Hamburg, queer-feministisches Bündnis gegen G20, radikale linke|berlin, LINKE.SDS, …
Schreibt eine Mail an united-erklaerung@umsganze.org Falls eure Organisation diesen Text unterschreiben will.